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19. Juni 2012 - Wie die Kleinen Großprojekte stoppen |
Von Sascha Meyer und Paul Winterer, Berlin/München Bürger verhindern Münchens dritte Flugpiste. Volkes Wille wird künftig wichtiger – und mächtiger. Proteste quer durch die Republik: Gegen neue Schienenstrecken und Autobahnkilometer, gegen Stromtrassen und Windräder. Und nun auch noch ein symbolträchtiges Nein der Bürger zum Ausbau des Flughafens in München. Haben milliardenteure Großvorhaben im Industriestaat Deutschland keine Chance mehr? Seit der Eskalation um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 beteuern Politik und Verbände, mehr Anwohnerbeteiligung solle her. Leicht durchschaubar sind Genehmigungsverfahren jedoch nicht. Und manchmal untergraben auch Pannen der Planer die Akzeptanz. In der Nachbarschaft des Münchner Flughafens herrscht am Tag danach Freude über das Votum in der bayerischen Landeshauptstadt. „So gefällt es uns! Wir sind das Volk“, steht auf einem Plakat im Schaufenster des kleinen Supermarktes im Freisinger Ortsteil Attaching. Und auf einem anderen „Danke an Alle“. Mit 54,3 Prozent hatten die Münchner am Sonntag die ehrgeizigen Ausbaupläne für das zweitgrößte deutsche Luftfahrtdrehkreuz vorerst gestoppt. Überzeugen wird schwerer „Wenn die dritte Startbahn kommen würde, müssten die Dachziegel festgeschraubt werden, um dem Druck der in niedrigster Höhe über unsere Häuser fliegenden Maschinen standzuhalten“, sagte Attachings Sportvereinsvorsitzender Johann Hölzl gestern. Dabei donnern schon jetzt Jets im Minutenabstand über die Einfamilienhäuser. Von einem lokalen Problem kann nicht die Rede sein. Von Nord nach Süd gibt es Krach um Bauvorhaben – von der Anbindung der geplanten Ostseequerung durch den Fehmarnbelt in Schleswig-Holstein über den Streit in Dresden zur Waldschlößchenbrücke bis zum Steinkohlekraftwerk Datteln in Nordrhein-Westfalen. Der Münchner Entscheid habe einmal mehr gezeigt, wie schwierig es mittlerweile sei, die Bevölkerung von der Notwendigkeit wichtiger Projekte zu überzeugen, klagt der Bundesverband der Tourismuswirtschaft. „Wenn wir unsere Infrastruktur nicht auf die Zukunft vorbereiten, dann sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen“, warnt auch der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Klaus-Peter Siegloch. Dabei argumentiert Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) seit Längerem: „Eine florierende, global vernetzte Volkswirtschaft ist ohne Nebenwirkungen nicht zu haben.“ Berechtigte Interessen von Anwohnern müssten jedoch auch berücksichtigt werden. Fragt sich nur wie. Zumal sich das Problem verschärft, weil wegen des Ausstiegs aus der Atomkraft die Stromnetze massiv ausgebaut werden sollen, mit allen Konsequenzen für die Lebensqualität von Nachbarn, den Wert von Eigenheimen, knappe Landwirtschaftsflächen. Der Spagat zwischen Beteiligung und Realisierung ist schwierig. Das zeigt sich auch am größten deutschen Flughafen in Frankfurt am Main, wo im Herbst eine neue Landebahn in Betrieb ging und nun immer montags Lärmgegner protestieren. Um gewalttätige Konflikte wie beim Bau der Startbahn West Anfang der 80er-Jahre zu vermeiden, war eigens ein Vermittlungsverfahren (Mediation) organisiert worden. Das Ergebnis: Ja zum Ausbau unter der Bedingung eines Nachtflugverbots. Initiativen sahen sich aber getäuscht, als die Baugenehmigung sieben Jahre später 17 Ausnahmen vorsah. Auch als das Bundesverwaltungsgericht im April die Nachtflugausnahmen kippte, legte sich die Unruhe nicht. Tillich erhält Kritik fürs Loben Auch Sachsen hat Proteste gegen Großprojekte wie die Waldschlößchenbrücke erlebt. Doch im Vergleich zu den Stuttgart-21-Demos blieben sie klein. Das bewog Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) vor anderthalb Jahren zu einem Lob, das ihm viel Kritik einbrachte. In einem Beitrag für das Magazin „Focus“ hatte er sich über vermeintliche Stärken seiner sächsischen Mitbürger geäußert. Am Beispiel des Streits um das Großprojekt „Stuttgart 21“ lobte er, in Sachsen könnten Kraftwerke und Autobahnen gebaut werden, ohne dass die Bevölkerung das allzu kritisch sieht. Und falls es doch mal Gegenwind gebe, dürfe man als Politiker nie auf dem eingeschlagenen Weg umkehren. In seinem Land funktioniere das gut. Die CDU werde immer wiedergewählt. Von vordemokratischem DDR-Sprech war daraufhin die Rede. Fatal sei, dass der Regierungschef den Eindruck erwecke, dass der Staat die Bürger lieber übergeht, monierte Grünen-Chefin Antje Hermenau. Dass es beim Milliardenprojekt Stuttgart 21 eine Befriedung erst nachträglich über eine Mediation und einen Volksentscheid gab, gilt nicht als ideal. Dabei sind die Interessenlagen regional sehr unterschiedlich. „Man wird es nie allen recht machen können“, meint Ramsauer, der beim langfristigen Bundesverkehrswegeplan mehr Öffentlichkeit will. Es gelte, politische Entscheidungen früher und sorgfältiger zu erklären und für gute Argumente offen zu sein. (dpa) Sächsische Zeitung, 19. Juni 2012 |