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4. Juni 2012 - Welterbe verpflichtet

Potsdam ist die Gastgeberstadt für die zentrale Bundesveranstaltung zum Unesco-Welterbetag

Potsdam ist die Gastgeberstadt für die zentrale Bundesveranstaltung zum Unesco-Welterbetag {Text} Gefeiert wird mit einem Konzert, das von Nikolaus Bernau moderiert wird. Mit dem Kunstwissenschaftler und Journalisten sprach Frank Kallensee.

MAZ: Herr Bernau, der Fall Waldschlösschenbrücke in Dresden hat den Verdacht nahegelegt, dass 2009 der deutsche „Musterschüler“ mit der Aberkennung des Welterbe-Titels bestraft wurde, während die Italiener Pompeji verrotten lassen können. Was ist das Label „Welterbe“ heute eigentlich noch wert?

Nikolaus Bernau: Vorsicht. Hier heißt es, scharf zu unterscheiden. Der „deutsche Musterschüler“, sprich: die Bundesrepublik, hat die Auflagen der Welterbe-Kommission nicht ernstgenommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel meinte damals, dass es sich um ein regionales Problem handele, das vom Land Sachsen gelöst werden müsse. Welterbe-Verträge sind nun aber internationale Abkommen, werden also mit der Bundesrepublik geschlossen. Die Bundesländer sind immer nur Sachwalter ihres jeweiligen Welterbes.

In Italien ist das anders?

Bernau: Ich will den Verfall in Pompeji und Herkulaneum nicht beschönigen, aber dort bemühen sich zumindest die Behörden, obwohl das Geld fehlt. Hinzu kommt, dass sich kein anderes Land um mehr Kulturerbe zu kümmern hat. Das ist mit Deutschland nicht vergleichbar. Deutscher politischer Ignoranz wegen wurde Dresden zu Recht von der Welterbe-Liste genommen. Pompeji droht die Rote Liste, aber vor allem, weil die Aufgabe kaum zu bewältigen ist.

Hatte der Fall Dresden Folgen für den Welterbe-Gedanken?

Bernau: Durchaus. Die ursprüngliche Idee von 1972 war ja, Objekte von allgemeinem Belang in eine Liste aufzunehmen, damit sie für die Allgemeinheit erhalten bleiben. Inzwischen sind 936 Denkmäler in 153 Ländern Welterbe. Auffällig ist allerdings der Vorrang Europas. Für Objekte in ärmeren Ländern ist aber der gleiche Pflegeaufwand nötig wie für die hiesigen. Denken Sie an die gegenwärtigen Schwierigkeiten Malis, die Moscheen, Mausoleen und Friedhöfe von Timbuktu vor den Angriffen fundamentalistischer Islamisten zu bewahren. Das ist großartige Lehmbauarchitektur, große Kunst, große Kulturgeschichte. Wie soll solch ein Land ermutigt werden, sein Erbe zu retten, gar Militär dafür einzusetzen, wenn die reichen Deutschen nicht in der Lage sind, eine einmalige Stadtansicht zu erhalten? Der Fall Dresden war eine Katastrophe: Welterbe wurde ohne Not beschädigt, denn die Verkehrsflüsse haben sich längst geregelt. Hinzu kommt noch erschwerend, dass die Waldschlösschenbrücke unglaublich hässlich ist.

Und was bedeutete der Titel-Verlust für den Tourismus?

Bernau: Fest steht, es gab in Dresden einen Quoteneinbruch. Der ist zum einen der Finanzkrise geschuldet, aber es ist jetzt eben auch in jedem Reiseführer zu lesen, was 2009 geschah. Ein Verzicht auf den Welterbe-Titel sollte demnach gut überlegt sein. Er könnte ziemlich teuer werden.

Apropos, „Klimaveränderung“: Nicht Vandalen, sondern Potsdamer Bürger waren es, die 2007 ihrem Unwillen über die Parkordnung der Schlösserstiftung Luft machten und sich dabei nicht sonderlich um den Welterbe-Status scherten. Ist die Zeit, in der Denkmalpfleger allein mit der Schönheit der ihnen anvertrauten Kulturgüter argumentieren konnten, vorbei?

Bernau: Schönheit ist kein Kriterium. Über Schönheit können wir streiten. Für Schönheit gibt es keine fixen Standards und die, die es gibt, ändern sich alle 20 Jahre fundamental. Denkmalpflege sollte deshalb immer mit der historischen Bedeutung, Qualität und Aussagefähigkeit argumentieren. Sicher kann ich sagen: Ich verbrauche alles. In Potsdam würde damit die Arbeit von zwei Jahrhunderten Denkmalpflege zunichte gemacht, in Pompeji wären es 300 Jahre Ausgrabungsgeschichte. Die moralische und historische Frage ist jedoch: Haben wir das Recht, das Erbe unserer Erben zu verprassen? Ohne Denkmalpflege würden wir etwas verbrauchen, das wir nicht geschaffen, sondern nur übernommen haben. Und vielleicht wollen ja auch kommende Generationen noch etwas von diesem Erbe haben.

Kein Verständnis für jene, die im Heiligen See in Potsdams Neuem Garten baden?

Bernau: Der Neue Garten ist das große Erbe Friedrich Wilhelms II., den die preußenfreundliche Geschichtsschreibung bekanntlich als Versager denunziert hat. Tatsächlich war dieser König für die Entwicklung der Künste in Brandenburg und Berlin in weiten Bereichen bedeutsamer als Friedrich der Große. Er führte eine kulturelle Provinz…

…in moderne Zeiten?

Bernau: Was Friedrich der Große nach seinem Tod 1786 hinterließ, war verglichen mit dem, was in Stockholm, London, Warschau, Paris und selbst im kleinen Wörlitz geschah, steinkonservativ. 1798, als Friedrich Wilhelm II. starb, war das ganz anders. Berlin war zum Zentrum der deutschen Aufklärung geworden. Nun kann heute jeder sagen, weil der Gartenteich im Neuen Garten ein See ist, will ich dort baden, denn Baden ist mein Recht. Ist es das? Wer da badet, beteiligt sich an der Zerstörung eines Erbes. Ich finde, dass hier alle Schutzinstrumente anzuwenden sind, und halte die Parkordnung für völlig gerechtfertigt. Anders scheint ja nicht begreiflich zu werden, dass es hier etwas zu bewahren gilt, das eben Welterbe und nicht nur Erbe der Berliner Vorstadt ist.

Offensichtlich hat die Denkmalpflege ein Kommunikationsproblem.

Bernau: Das liegt in der Natur der Sache. Denkmalpflege ist immer ein Eingriff in unsere Nutzergewohnheiten, in unsere Eigentumsrechte. Von Georg Dehio, dem Vater der deutschen Denkmalpflege, stammt der Satz: Denkmalpflege ist ein Stück Sozialismus.

Wenn ein Haus unter Schutz gestellt wird…

Bernau: …ist dem Eigentümer das Recht genommen, damit zu machen, was er will. Das zu vermitteln, ist verdammt schwer.

Andererseits werden Denkmalschutzgesetze novelliert.

Bernau: In Schleswig-Holstein zum Beispiel, Niedersachsen und demnächst in Berlin. Dort können Sie auch deutlich sehen, was die Konsequenzen sind. Abbruchgenehmigungen werden unglaublich schnell erteilt, komplette Denkmalstrukturen verschwinden. Manchmal sind sogar Kulturinstitutionen Komplizen: Bis auf zwei Säle in der Staatsbibliothek hat die Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz binnen 20 Jahren ihr gesamtes bauliches DDR-Erbe abgeräumt. Schriebe jemand deutsche Geschichte am Beispiel der Architektur der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, könnte er zu dem Ergebnis kommen, dass es eine DDR nie gegeben hat.

Insofern ist das Konzert am Welterbe-Tag ein Plädoyer gegen das fahrlässige Zerstören?

Bernau: Zunächst wird es ein Parcours durch das musikalische Welterbe Potsdams. Zwar gehört keine der Partituren zum Weltdokumentenerbe, aber Mendelssohns „Sommernachtstraum“, der 1843 im Schlosstheater des Neuen Palais uraufgeführt wurde, kann getrost als Welterbe bezeichnet werden. Diese Musik ist womöglich bekannter als Potsdam selbst. Stücke wie dieses werden zu hören sein. Auch wenn ich mir noch Weiterungen hätte denken können …

Welche?

Bernau: Ein Stück von Prinz Louis Ferdinand. Der, bevor er 1806 in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt fiel, als Komponist wirklich etwas taugte. Anders als Friedrich der Große, an dessen Musik wir keine Minute verschwenden würden, hätte sie nicht Friedrich der Große geschrieben. Freilich ist von Louis Ferdinand nur Kammermusik überliefert und die passt nicht gut ins Festkonzert-Format.

Was passt denn hinein?

Bernau: Wer auf die Habsburger, Bourbonen oder Wettiner schaut, wird das Haus Hohenzollern nicht sonderlich kultiviert nennen. Gleichwohl ist ihm ein Faible für Architektur und Musik zu bescheinigen. Sogar Friedrich Wilhelm I., der als Banause so ziemlich alles unterbot, was seine Zeitgenossen für banausisch hielten, schätzte die Musik. Er hat sich etwa Werke von Händel für Jagdhorn-Ensembles arrangieren lassen. Darum wird die Kammerakademie Potsdam das Konzert mit der „Wassermusik“ eröffnen. Generell schienen die Hohenzollern eine Art heitere Moderne zu bevorzugen: Der ernste Thomaskantor Bach konnte in Preußen nicht reüssieren. Im Programm ist aber das A-Dur-Cellokonzert seines Sohnes Carl Philipp Emanuel Bach zu hören, den Friedrich der Große als Hofcembalisten engagiert hatte. Auch Mozart mochte im Potsdam Friedrich Wilhelms II. nicht recht warm werden. Der König bevorzugte den Cellisten Jean-Louis Duport, von dem darum ebenfalls etwas zu hören sein wird. Kurzum, die Hohenzollern wollten’s nicht komplex, dafür aber strahlend und glänzend.

Nikolaus Bernau

Welterbeklänge

* Geboren 1964 in Bonn, studierte Nikolaus Bernau Architektur und Kunstwissenschaften an der Technischen Universität und der Hochschule der Künste in Berlin.

* Seit 2000 arbeitet Bernau als Journalist. 2003 wurde er in den Berliner Landesdenkmalrat berufen. 2011 erhielt er die „Silberne Halbkugel“ des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz.

* Das Festkonzert in Potsdam ist die zentrale Veranstaltung des Bundes zum Unesco-Welterbetag. Die von Christoph Altstaedt geleitete Kammerakademie Potsdam wird Werke von Händel, Mendelssohn Bartholdy, C. Ph. E. Bach, Duport und Näther spielen. Solist ist Maximilian Hornung (Cello).

* info Festkonzert „Potsdamer Welterbeklänge“ am 2. Juni, 19 Uhr. Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Str. 10-11, Potsdam. Karten unter Tel. 0331/2888828.

Märkische Allgemeine, 31. Mai 2012