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13. Dezember 2011 - „Weltkulturerbe Semmeringbahn“ – Die Initiative zur Rettung der ersten Hochgebirgsbahn der Welt

Die Demontage des Weltkulturerbes Semmeringbahn

Um im international geschützten UNESCO-Welterbe-Gebiet des Semmerings den Basistunnel realisieren zu können, wird seit Jahren auf mehreren Ebenen getrickst. Selbst der Management­plan steht im krassen Widerspruch zur UNESCO-Welterbe-Konvention.

Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erkannte die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), dass mit der Boden-, Luft- und Wasserverschmutzung, der Industrialisierung, dem unkontrolliertem Verkehrszuwachs und dem hemmungslosen Massentourismus ein rapider Biodiversitäts- und Landschaftsverlust einhergeht. Das stete Wachstum der Bevölkerung und deren Ansprüche, die Landschaftszersiedelung und Urbanisierung sowie die technik- und wirtschaftsorientierte Entwicklung der Gesellschaft führen in immer stärkerem Ausmaß zum Untergang traditioneller Lebensformen sowie zur Zerstörung natürlicher und kultureller Werte. Vor allem die letzten Jahrzehnte zeigen deutlich, wie sehr der Mensch den Sinn für wahre Werte und Notwendigkeiten verloren hat und blindlings dem vermeintlichen Fortschritt und Wirtschaftswachstum nachjagt, dessen Auswüchse in immer rasanterem Tempo zum Verfall bzw. zur Zerstörung unwiederbringlicher Natur- und Kulturgüter führen.

Um dieser negativen Entwicklung zumindest einwenig entgegen zu steuern, beschloss die Generalkonferenz der UNESCO 1972 die „Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“ (Welterbe-Konvention). Sie hat zum Ziel, weltweit Landschaften von hervorragender Schönheit und Vielfalt sowie die Zeugnisse vergangener und die Schätze bestehender Kulturen vor dem Untergang zu bewahren und als Welterbe der gesamten Menschheit für zukünftige Generationen zu erhalten.

Die erste Welterbe-Eisenbahn der Welt

Österreich trat der Welterbe-Konvention mit mehr als zwanzigjähriger Verspätung 1993 bei, hatte man doch in den 1980er Jahre die Befürchtung, Naturschützer könnten für die Nominierung der Donau-March-Thaya-Auen als potentielles Weltnaturerbe eintreten, was den Plänen der Regierung und der E-Wirtschaft hinsichtlich Realisierung eines Laufkraftwerks bei Hainburg diametral entgegen gestanden wäre. Dementsprechend vermied man es jahrelang, dem Übereinkommen beizutreten. Die Österreichische UNESCO-Kommission, die Österreichische Gesellschaft für Kulturgüterschutz und andere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bemühten sich zwar um einen Beitritt Österreichs zur Welterbe-Konvention, doch stießen sie bei den Politikern und Beamten immer wieder auf taube Ohren. Erst als die Landschaftsschutz­organisation „Alliance For Nature“ Anfang der 1990er Jahre politischen Druck ausübte, unterzeichneten 1992 Bundespräsident Thomas Klestil und Bundeskanzler Franz Vranitzky die Ratifikationsurkunde, infolge dessen die Welterbe-Konvention im März 1993 auch für Österreich in Kraft trat. „Alliance For Nature“ unterbreitete sogleich den Vorschlag, die Semmeringbahn, bedroht durch den Semmering-Basistunnel, als potentielle Welterbestätte zu nominieren. Ein Vorschlag, der sogar die UNESCO in Paris vollends überraschte, hatte man doch bis dahin nur Schlösser, Kathedralen, Städteensembles und ähnlich wertvolle Kulturgüter zum „Welterbe der Menschheit“ erklärt. Aber eine Eisenbahn stand bislang noch nicht zur Diskussion. Vor allem Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll begeisterte sich für die Idee der „Alliance For Nature“ und unterstützte deren Initiative. Letztendlich konnte diese auch die UNESCO vom außergewöhnlichen universellen Wert überzeugen, sodass die Semmeringbahn 1998 als erste Eisenbahn weltweit den Status einer Welterbestätte erhielt (mittlerweile gibt es in Indien drei und in Europa zwei Welterbe-Eisenbahnen). Somit wandte „Alliance For Nature“ erstmals in der Geschichte des österreichischen Naturschutzes das „Welterbe“ als internationales Schutz­instrument an, hatten doch Umweltorganisationen bislang fast ausschließlich den „Nationalpark“ als Gegengewicht zu Großprojekten ins Treffen geführt (Hohe Tauern, Donau-Auen, Neusiedler See).

Damit aber NGOs und Bürgerinitiativen (wie jene von Wien-Mitte) in weiterer Folge nur ja nicht auf die Idee kommen, die Welterbe-Konvention nun öfters als Schutzinstrument gegenüber Großprojekten einzusetzen, verniedlichte man die Bedeutung der UNESCO-Welterbe-Konvention. Der Welterbe-Status sei, so die Beamten, nichts anderes als eine internationale Auszeichnung für ein nationales Kultur- oder Naturdenkmal. Von einem rechtswirksamen Instrument zum Schutz gefährdeter Naturlandschaften oder Kulturdenkmäler könne jedenfalls keine Rede sein. Doch trotz permanenter Abwertung durch Politiker und Beamte wurde sowohl beim Hochhausprojekt in Wien-Mitte als auch beim Basistunnelprojekt am Semmering das „Welterbe“ erfolgreich gegen Gigantomanie bzw. falsch verstandenen Fortschritt eingesetzt.

Auch im benachbarten Deutschland kam die Welterbe-Konvention zum Aufsehen erregenden Einsatz. Denn nachdem Politiker und Beamte der Stadt Dresden nicht einsehen wollten, dass Jungfrau und Kind, sprich „Waldschlösschenbrücke“ (ein die Elbe überquerender Autobahn­zubringer) und „Welterbe Dresdner Elbtal“, nicht miteinander vereinbar sind, wurde Deutschland der Welterbe-Titel für diese außergewöhnliche Fluss- und Kulturlandschaft aberkannt. Hätte sich das UNESCO-Welterbe-Komitee breitschlagen lassen und dem Dresdner Elbtal trotz Bau der Brücke den Welterbe-Status belassen, wäre die Glaubwürdigkeit und der Sinn der Welterbe-Konvention weltweit verloren gegangen.

Nationaler Schutz als Voraussetzung für das Welterbe

Als Konsequenz auf diesen Konfliktausgang im Nachbarland schlägt Österreich nun einen etwas diffizileren Weg ein, um doch noch ein Großprojekt in einem UNESCO-geschützten Welterbe-Gebiet durchsetzen zu können. Nicht Konfrontation sondern geschickte Agitation soll hier den Weg für den neuen Semmering-Basistunnel (SBTn) mit all seinen großtechnischen Eingriffen im Weltkulturerbe Semmeringbahn und umgebender Landschaft ebnen. Als Mittel zum Zweck dienen hiefür verschiedenste Maßnahmen sowie der seit langem geforderte Managementplan.

Damit ein Natur- oder Kulturgut von außergewöhnlichem universellem Wert überhaupt in das international geschützte „Welterbe der Menschheit“ gemäß UNESCO-Konvention aufgenommen wird, muss es den national gesetzlich verankerten Schutz genießen. Bei der Semmeringbahn und umgebenden Kulturlandschaft war diese Grundvoraussetzung zum Zeitpunkt der Nominierung gegeben. Denn die Semmeringbahn steht bereits seit 1923 ex lege unter Denkmalschutz und die umgebende Landschaft ist auf niederösterreichischer Seite Teil des Landschaftsschutzgebietes „Rax-Schneeberg“ (seit 1955), auf steirischer Seite Teil des Landschaftsschutzgebietes „Stuhleck-Pretul“ (seit 1981). Auf internationaler Ebene ist der Semmering zudem Bestandteil des Natura-2000-Gebietes „Nordöstliche Randalpen: Hohe Wand – Schneeberg – Rax“ (seit 1998). Die Voraussetzung des gesetzlich verankerten Schutzes war somit anno dazumal auf nationaler (und internationaler) Ebene gegeben.

1995 nominierte die Republik Österreich schließlich die Semmeringbahn samt ihrer umgebenden Kulturlandschaft mit einer Gesamtfläche von über 8.800 Hektar, wobei in der diesbezüglichen Dokumentation die Gebirgsbahn und die umgebende Landschaft mit all ihren Reizen („magic mountains“) als Symbiose zwischen Natur, Kultur und Technik Lob gepriesen wurde. Im Dezember 1998 erklärte die UNESCO die Semmeringbahn mit ihrer umgebenden Kulturland­schaft zum Welterbe und begründete ihren Entschluss folgendermaßen: „Die Semmeringbahn, die zwischen 1848 und 1854 über eine Strecke von 41 km Gebirgslandschaft gebaut wurde, ist eine Pionierleistung im Eisenbahnbau dieser frühen Periode. Die Qualität der Tunnels, Viadukte und andere Bauten haben eine Nutzung dieser Bahnlinie bis zum heutigen Tag ermöglicht. Sie verläuft vor dem Hintergrund einer spektakulären Gebirgslandschaft mit zahlreichen schönen Ferienhäusern, die im Gefolge der Erschließung der Region durch die Eisenbahn entstanden. Kriterium (ii) Die Semmeringbahn steht für eine herausragende technische Lösung eines bedeutenden physischen Problems bei der Errichtung früher Eisenbahnlinien. Kriterium (iv) Mit dem Bau der Semmeringbahn wurde der Zugang zu Landstrichen von großer natürlicher Schönheit erleichtert; in der Folge entwickelten sich Wohn- und Erholungsräume und damit eine neue Form von Kulturlandschaft.“

Mit anderen Worten: Ohne die spektakuläre Gebirgslandschaft mit ihren tiefen Gräben und hoch emporragenden Steilwänden wäre am Semmering nie eine derart pionierhafte Eisenbahnstrecke entstanden. Und ohne die Erschließung dieser von großer natürlicher Schönheit geprägten Region durch die Eisenbahn wäre nie eine derartig harmonische Kulturlandschaft mit zierlichen Villen (im „Semmering-Stil“) und prunkvollen Hotels entstanden. Dem Rechnung tragend (Kriterium ii und iv), erklärte die UNESCO das „Gesamtkunstwerk“ von Natur, Kultur und Technik zum „Welterbe der Menschheit“ – so wie es die Republik Österreich in ihrer Dokumentation beschrieb („The World Heritage – Documentation for the Nomination of Semmering – railway – cultural site – Semmeringbahn Kulturlandschaft, 1995“) und Mitte der 1990er Jahre zur Aufnahme in das Welterbe beantragte. Oder anders ausgedrückt: Die Semmeringbahn und ihre umgebende Kulturlandschaft wurden gleichrangig und gleichwertig als Welterbe nominiert. Der umgebenden Landschaft („the Cultural Site of the Semmering“) wurde in der Welterbe-Dokumentation sogar mehr als viermal soviel Raum gewidmet wie der Semmeringbahn selbst. Nun aber wird in Beamtenkreisen abwertend nur noch von der „Semmeringeisenbahn“ als Weltkulturerbe gesprochen, während die umgebende Landschaft mehr oder weniger unter den Tisch fallen gelassen wird.

Salami-Taktik zugunsten eines Großprojektes

Zugunsten des gigantomanischen Semmering-Basistunnels wird seit Jahren dieses harmonische „Gesamtkunstwerk“, wie es in der Welterbe-Dokumentation so schön heißt, in Stücke zerteilt und schrittweise auf ein Minimum reduziert. Schon kurz nach der offiziellen Nominierung durch die Republik Österreich, aber noch vor der tatsächlichen Erklärung zum „Welterbe der Menschheit“ durch das UNESCO-Welterbe-Komitee, begann das Kulturministerium die scheibchenweise Demontage des Weltkulturerbes Semmeringbahn. Denn am 17. März 1997 hat das dem Kulturministerium unterstellte Bundesdenkmalamt einen Bescheid herausgegeben, der die Semmeringbahn im Streckenabschnitt 75,650 bis 114,820 unter Denkmalschutz stellt. Demnach wurden die Bahnhöfe Gloggnitz und Mürzzuschlag ausgespart. Ein Schelm, der denkt, es stecke Absicht dahinter, um eine Abzweigung für den Semmering-Basistunnel knapp hinter dem Bhf. Gloggnitz und kurz vor dem Bhf. Mürzzuschlag seitens des Denkmalschutzes doch noch zu ermöglichen. Ob die UNESCO über diese kaum wahrnehmbare, aber richtungsweisende „Weichenstellung“ informiert wurde, bleibt dahin gestellt. Ebenso fraglich ist, ob die UNESCO bezüglich der Verkleinerung des Landschaftsschutzes kontaktiert wurde. Denn per Verordnung vom 22.06.1981 wurden große Teile der Landschaft auf der steiermärkischen Seite des Semmerings zum Landschaftsschutzgebiet „Stuhleck-Pretul“ erklärt, per Verordnung vom 26.03.2007 aber auf rund ein Drittel der ursprünglichen Fläche verkleinert, und zwar genau in jenem Bereich, wo der neue Semmering-Basistunnel (SBTn) verlaufen soll. Inwieweit einem Welterbe-Gebiet der nationale Schutz entzogen werden kann, ohne eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für den Welterbe-Status zu verletzen, wäre ebenfalls noch zu prüfen. Den Gipfel des frivolen Umgangs mit dem Weltkulturerbe Semmeringbahn und ihrer umgebende Kulturlandschaft bildet aber der im Auftrag des „Vereins Freunde der Semmeringbahn“ erstellte Managementplan. Unter Mitarbeit der ÖBB Infrastruktur Bau AG, des Kulturministeriums, des Bundesdenkmalamtes und zahlreicher weiterer öffentlichen Stellen wird das Weltkulturerbe „Semmeringbahn – Kulturlandschaft“ nun auf ein Minimum reduziert, indem einfach nur noch die Trasse der Semmeringbahn zur Kernzone mit einer Fläche von gerade einmal 156 ha erklärt wird, während die seinerzeit so gepriesene, mit „großer natürlicher Schönheit“ ausgestattete Kulturlandschaft von über 8.580 ha abgewertet und zur so genannten Pufferzone degradiert wird. Abgesehen davon, dass der Managementplan sich inhaltlich oft widerspricht und falsche Behauptungen aufweist, wird als eine der ersten Maßnahmen zur langfristigen Bestandserhaltung der Semmeringbahn das Bauvorhaben Semmering-Basistunnel angeführt. Dies steht aber in krassem Widerspruch zur UNESCO-Welterbe-Konvention, wurde sie doch mit dem Ziel beschlossen, außergewöhnliche universelle Kultur- und Naturgüter vor großtechnischen Eingriffen, wie es einmal ein Tunnelprojekt derartigen Ausmaßes mit sich bringt, zu schützen. Im Managementplan steht auch nichts darüber, welche Staatsverträge oder einklagbaren Garantieerklärungen es zur Erhaltung und zum Schutz der Semmeringbahn samt ihrer umgebenden Landschaft in jener Form gibt, wie sie von der UNESCO zum Welterbe erklärt wurde, und wie das international geschützte Welterbe-Gebiet vor den geplanten großtechnischen Eingriffen durch den SBTn, die unter anderem dauernde Bergwasserausleitungen im Ausmaß von bis zu 38 Millionen Liter Wasser pro Tag vorsehen, geschützt wird. „Sollte die Semmeringbahn tatsächlich einmal durch einen Basistunnel ersetzt werden, könnte dies zur Stilllegung und schlimmstenfalls zum Verfall dieser bedeutenden Gebirgs- und Landschaftsbahn führen. Eine Eintragung in die Rote Liste des gefährdeten Welterbes wäre die Folge“. Diesen Worten des Gründungsdirektors des UNESCO-Welterbe-Zentrums, Bernd von Droste zu Hülshoff, ist kaum noch etwas hinzuzufügen.

Weitere Informationen auf: www.alliancefornature.at