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5. Oktober 2011 - Uns trennt die Brücke

Von Denni Klein

Die Waldschlößchenbrücke ist fast fertig und doch ist offen, ob ihr Bau rechtens ist. Dass es in dem Streit um mehr als die Brücke geht, zeigt ein Tag im Gericht.

Michael Raden hält seine Hand stets vor seinen Mund, seinen Stift fest umklammert, wenn er den Ausführungen der Anwälte folgt. Er ist der Vorsitzende Richter des 5.Senats am Oberverwaltungsgericht in Bautzen. Er ist der oberste Brücken-Richter. Seine Aufgabe: Er soll mit seinen beiden Kolleginnen und dem Ergänzungsrichter entscheiden: Ist der Bau der Waldschlößchenbrücke rechtens?

Vor ihm sitzen seit dem gestrigen Dienstag bis zum Freitag ein gutes Dutzend Anwälte und Experten. Die einen vertreten den Freistaat. Der Berliner Rechtsanwalt Frank Fellenberg führt für das beklagte Land das Wort. Gewandt, offensiv, siegessicher: „Ich möchte ihre Äußerung zunächst auf rechtlich richtige Füße stellen“, leitet er seine erste längere Erwiderung des Tages ein, von denen noch viele folgen. Er reagiert auf einen leidenschaftlichen Vortrag des Anwalts Martin Gellermann, der die drei klagenden Naturschutzverbände Grüne Liga, NABU und BUND vertritt

Hat das Land geschlampt?

Richter Raden zuckt nicht ein einziges Mal mit der Augenbraue, während sich die versierten Verwaltungsrechtler ihren Schlagabtausch liefern. Hin und wieder notiert er sich ein paar Worte. Das meiste hat er in den 6500 Seiten Papier, die in 80 Ordnern und Mappen bereitstehen, schon gelesen.

An diesem Verhandlungstag geht es darum, ob das damalige Regierungspräsidium, heute Landesdirektion, den Schutz der Natur ausreichend geprüft hat, bevor es 2004 den Bau der Brücke genehmigte. Hier signalisiert der Senat Zweifel. Die Überraschung des Tages. Das sind Vorüberlegungen anhand der Aktenlage, stellt die Berichterstatterin des Senats klar. „Das Regierungspräsidium hat nur eine reine Gefahrenabschätzung vorgenommen. … Eine Verträglichkeitsprüfung wäre aber erforderlich gewesen.“ Das ist längst kein Urteil, aber ein Signal. Im Klartext heißt das: Das Regierungspräsidium hätte seinerzeit wesentlich besser prüfen sollen, ob der Brückenbau erhebliche und dauerhafte Schäden für die in dem geschützten Gebiet lebenden Tiere und Pflanzen hat.

„Damit weicht der Senat ganz erheblich vom Verwaltungsgericht Dresden ab. Ich bin dezidiert anderer Meinung“, stellt Landesanwalt Fellenberg fest. Der SZ sagt er: „Es ist keiner Kröte geholfen, wenn das Land nachträglich die Papiere von 2004 ändert. Eine erneute Prüfung käme zum gleichen Ergebnis. Die Brücke schadet der Natur nicht.“

Die Naturschützer schöpfen durch die „Vorüberlegungen“ der Richter Hoffnung. „Wir haben gewichtige Argumente, dass die Brücke die Natur schädigt und dass das nicht beachtet wurde“, sagt Anwalt Gellermann der SZ.

Eine Einschränkung gibt der Senat zu bedenken. So könnte man dem Land zugutehalten, seinen Fehler in späteren Änderungsbeschlüssen erkannt und die Verträglichkeitsprüfung nachgeholt zu haben. Das könnte juristisch eine „heilende Wirkung“ haben. „Mit nichten“, sagt Anwalt Gellermann. „Es geht hier nicht um die große Heilung eines punktuellen Fehlers, sondern um die punktuelle Heilung eines unglaublich großen Fehlers.“ Es wird deutlich, dass es um mehr geht als die Rettung der kleinen Hufeisennase (eine Fledermaus) oder des Dunklen Weißknopf-Ameisenbläulings (ein seltener Schmetterling). Das Gericht soll klären, ob die sächsischen Genehmigungsbehörden den Naturschutz ausreichend würdigen, wenn sie Bauprojekte genehmigen. Künftige Baugenehmigungen werden sich an dieser Entscheidung messen lassen müssen. Natürlich wird auch deutlich, dass der Schmerz des Welterbeverlusts und die Unversöhnlichkeit mit dem Stahlbauwerk mitschwingt.

Drei Szenarien denkbar

Allen Beteiligten ist aber klar: Niemand reißt die Brücke wieder ab. Deshalb sind drei Szenarien denkbar. Variante eins: Das Land verliert. Es gibt einen Baustopp und Naturschutzbelange müssten nachgebessert werden. Variante zwei: Die Naturschützer scheitern, dann geht es wohl vor dem Bundesverwaltungsgericht weiter. Variante drei: Richter Michael Raden schafft die Versöhnung. Dazu braucht er in seinem Urteil einen äußerst feinsinnigen Strich. Denn bisher ist klar: Diese Brücke trennt Dresden.

Sächsische Zeitung, 28. September 2011