Rufplätze im Niemandsland
Rufplätze im Niemandsland

Als die sächsischen Umweltverbände im vergangenen Dezember in der Causa Waldschlösschenbrücke erneut vor Gericht scheiterten, gab es plötzlich nicht wenige besorgte Naturschutzfreunde, die öffentlich nach dem Sinn der Klage und ihrer Fortführung fragten. Das Thema sei nun endgültig gegessen, gebracht habe das alles nichts. Für Grüne Liga et al. hatten sie den guten Rat, sie sollten sich nun auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren, statt sich noch weiter zu verrennen. Was aber Ratschläge von falschen Freunden wert sind, bestätigt erneut die Verhandlung in Bautzen.

Von Johannes Hellmich

Jene wohlmeinenden Naturfreunde haben Zweifel an der Aufrichtigkeit der Umweltaktivisten. Wenn der Grünen Liga Wachtelkönig und Elbwiesen tatsächlich am Herzen liegen, fragen sie zum Beispiel, warum tut sie dann nichts gegen freilaufende Hunde? Und schließlich habe ja auch keiner geklagt, als in den 90ern angetrunkene Besucher der fröhlich-lärmenden Vogelwiese das angebliche Wachtelkönig-Paradies an der Elbe niedertrampelten, zuparkten und verunreinigten. Wenn man also ehrlich sei, so wie sie selbst, müsse man eingestehen: Erst die Brücke habe dafür gesorgt, dass Schausteller und ihr krawalliges Publikum weiterziehen mussten.

Kein Rat ohne Trost: Die Natur wisse sich letztlich mit allen Unannehmlichkeiten irgendwie zu arrangieren. Es gäbe in Dresden noch weitere Brücken mit Hinderniswirkung für Hufeisennase, Bernsteinschnecke und Juchtenkäfer, ja, es gäbe Brücken überall auf der Welt. Aber nur hier mache man daraus ein Problem.

Selbstredend haben die Sorgen solcher Naturfreunde auch einen triftigen Grund: Prozesshanselei behindere den wahren Naturschutz. Schlimmer noch: Würde dem Naturschutz mit einer erfolgreichen Klage am Waldschlößchen zum sogenannten Recht verholfen und müsste womöglich – was aber zum Glück ausgeschlossen ist – die Brücke wegen ein paar Käferchen abgerissen werden, entstehe dem Naturschutz  ein schwerer Ansehensverlust. Das aber wiederum könne weitere besorgte Naturfreunde davon abhalten, mehr für die Umwelt zu tun – maßvoll natürlich.

Natürlich! Hätte es Sinn, möchte man diese etwas scheinheiligen Freunde dagegen fragen, zum dreihundertundersten Mal zu erklären, dass sich Auswirkungen auf Ökosysteme meist nicht linear – zum Beispiel zur Anzahl von Brücken – verhalten? Oder auf ungebremstes weltweites Artensterben zu verweisen, das freilich immer nur woanders und weit weg geschieht?

Sollte es sich noch immer nicht bis zu unseren von den Umweltverbänden enttäuschten Naturfreunden herumgesprochen haben, dass 1998 ein vom sächsischen Umweltministerium gefördertes Artenschutzprogramm zur Erfassung des Wachtelkönigs im FFH-Gebiet anlief, das sich vor allem auf das Ostragehege konzentrierte? Nimmt der besorgte Naturdemokrat nach all den Jahren zur Kenntnis, dass städtische Ämter Auflagen zur Vogelwiese hätten festlegen und kontrollieren müssen? Dass Einwendungen der Umweltverbände zum FFH-Gebiet Teil des WSB-Planfeststellungsverfahrens waren?

Im Bautzener Berufsverfahren wurde erstmals umfangreich und vertieft über Eingriffe in Lebensräume geschützter Arten verhandelt. Ist das nicht Beleg genug, dass diese Berufung notwendig und richtig war? Sollte das dann nicht auch für das weitere Verfahren gelten?

Wer Artenschutz wahlweise als Bedrohung oder harmlose Spinnerei empfindet, oder eine Mischung aus beidem, ist nicht einmal in Detailfragen zu erschüttern. Umweltverbände sind keine Massenorganisationen und also weder personell noch finanziell in der Lage, Vollzugsaufgaben unterer Naturschutzbehörden zu übernehmen. Notgedrungen müssen sie Schwerpunkte setzen – auch da, wo Natur mit Verkehrs- oder Wirtschaftspolitik kollidiert. Unsere naturverbundenen Brückenfreunde übersehen geflissentlich, dass Umweltrecht nicht nach Stimmungslagen beachtet oder ignoriert werden kann. Ihr gesunder Menschenverstand, auf den sie so stolz sind, sollte aber andererseits auch den Motivationsschub bei vielen langjährig aktiven Naturschützern nicht unterschätzen, falls die Klage am Ende doch erfolgreich ist – mit oder ohne Segen ihrer falschen Freunde.

Denn, um es vorwegzunehmen, die Verhandlung vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in Bautzen konnte, auch wenn in ihrer „Performance“ Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit überwogen, naturgemäß nur Teil des Ganzen bleiben: Der Verkehrszug Waldschlösschenbrücke als Ausdruck eines politischen Willens, der kraftstrotzend und verächtlich über Landschaft, Kultur und Umweltrecht hinweggeht, um zu zeigen „wer hier Herr im Hause ist“1. Den offenbar entstandenen Glauben an eigene Unbesiegbarkeit dürfte auch genährt haben, dass der Bruch der Welterbekonvention scheinbar ohne Konsequenzen blieb. Wer der Welt so erfolgreich trotzte, muss freilich annehmen, internationales Recht habe sich auch beim Artenschutz den Interessen der Heimatpartei unterzuordnen.

Mit Taschenlampe und Pudelmütze

Welchen Sonderweg Sachsen auch gehen will, umweltrechtlich bleibt es an europäische Gesetzgebung gebunden. In der Vergangenheit meinten Größere, gemeinschaftliche Naturschutzregeln gelten gerade für sie nicht. Sachsen muss sich bei seiner eigenwilligen Festlegung von Schutzgebieten oder Dr. Wagners erstem Spatenstich ohne Baugenehmigung im Jahr 2000 („Fangen wir schon mal an“) nicht für kaltschnäuziger halten als Frankreich, Irland, Spanien oder das Vereinigte Königreich.

Vor dem Hintergrund der Klärung, ob die Elbwiesen zwischen Marienbrücke und Blauem Wunder als faktisches Vogelschutzgebiet auszuweisen waren, ob eine Ausgrenzung des Gebietes rechtswidrig war, ob eine Vorprüfung eine sorgfältige Verträglichkeitsprüfung für ein Flora-Fauna-Habitat nach Natura 2000 (FFH-VP) bei zu erwartenden erheblichen Eingriffen in die Lebensräume streng geschützter Tiere hätte nach sich ziehen müssen und ob eine Alternativenprüfung ausreichend genug war, konzentriert sich die Klage der Umweltverbände, die jetzt erstmals außerhalb sächsischer Gerichtsbarkeit verhandelt werden kann, auf die tatsächlichen Beeinträchtigungen von Lebensraumtypen (LRT) und geschützten Arten.

Lange genug hat es gedauert. Dabei war frühzeitig klar, welches Risiko ein Vorhabenträger eingeht, der sein Projekt mit gewaltigem politischen Druck und um jeden Preis durchsetzen will. Der aufs Tempo drückt, wenn Untersuchungen nur mit großem fachlichen und zeitlichen Aufwand zu führen sind. 2004 kam der Planfeststellungsbeschluss des damaligen Regierungspräsidiums Dresden dann auch zu der erwarteten Einschätzung (S. 49):

Insgesamt sind damit nach derzeitigem Kenntnisstand keine nachhaltigen und erheblichen Beeinträchtigungen für die Arten nach Anhang 2 der FFH-Richtlinie durch das planfestgestellte Vorhaben festzustellen. Sofern Auswirkungen zu erwarten sind, erreichen diese den Beeinträchtigungsgrad gering oder mittel.

Durch überschlägiges Ausschließen einer erheblichen Beeinträchtigung glaubte der Vorhabenträger, einer FFH-Verträglichkeitsprüfung enthoben zu sein. Immerhin ist es das Bundesamt für Naturschutz (BfN), das in seiner Fachinformation zur Bestimmung der Erheblichkeit2 im Rahmen von FFH-Verträglichkeitsprüfungen feststellt, eine nicht erhebliche Beeinträchtigung wäre nur dann zu prognostizieren, wenn Störwirkungen nicht zur Verringerung von Bestandsgrößen, dem Wegfall von Revieren oder auch nur zur Verringerung des Reproduktionserfolges eines Brutpaares einer Vogelart im FFH-Gebiet führen könnten.

Mit der Revisionszulassung durch den Bautzener Senat geht auch die Möglichkeit zur Klärung artenschutzrechtlicher Fragen durch europäische Gerichtsbarkeit an das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über. Das ist keine Kleinigkeit, denn neben dem Wachtelkönig geht es im Verfahren um weitere streng  geschützte Arten. Die Frage nach der restriktiven räumlichen Abgrenzung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten des Wiesenknopf-Ameisenbläulings durch den Freistaat berührt ein weiteres Mal die Erheblichkeit der Eingriffe. Das OVG hatte für diese Klärung keine Veranlassung gesehen.

Den gemeinschaftlichen rechtlichen Rahmen, daran muss gelegentlich erinnert werden, bilden noch immer die europäische FFH-Richtlinie 92/43/EWG  und – bezogen zum Beispiel auf unseren Wachtelkönig (Crex crex) – die bereits erwähnte europäische Vogelschutzrichtlinie. Nicht einmal, dass der damalige Umweltminister Tillich entgegen der Empfehlung des Landesamtes für Umweltschutz durch Ausgrenzung der innerstädtischen Elbwiesen aus einem zusammenhängenden Vogelschutzgebiet den Weg für die Waldschlösschenbrücke freimachte, hatte die Schutzwürdigkeit des Areals aufheben können. In Artikel 4, Absatz 4 fordert die VRL eigentlich unmissverständlich das Bemühen der Mitgliedsstaaten, „auch außerhalb dieser Schutzgebiete die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume zu vermeiden“.

Es ist also gewiss nicht, wie gern kolportiert wird, das Haar in der Suppe einer ansonsten soliden Planfeststellung mit all ihren nachträglichen Änderungen, das die Umweltverbände suchen, es geht noch immer um die Voraussetzungen eines Großprojektes im Schutzgebiet. Die Bautzener Verhandlungsrunden im letzten Jahr bestätigten, was sich schon vor dem Verwaltungsgericht gezeigt hat: Heilungsversuche an falschen oder spekulativen Prämissen müssen zwingend zu weiteren Mutmaßungen führen. Ausgleichsmaßnahmen ergeben nur Sinn, wenn der bedrohte oder geschädigte Bestand erfasst ist (siehe Fischfauna). Ohne diese Bestandsaufnahme ist auch Kohärenz nicht überprüfbar. Eine geschützte Schmetterlingsart, wie die Spanische Flagge (Euplagia quadripunctaria), tauchte im Planfeststellungsbeschluss von 2004 gar nicht erst auf – man habe sie nicht im Standarddatenbogen geführt. Wozu auch sollte die Habitateignung der Elbwiesen und Hänge für streng geschützte Arten geprüft werden: Was nicht gezählt wird, so glaubten die Bauherren, existiere nicht. Damit zugleich verschwand allerdings oft auch die Basis, um die Schwere der Eingriffe zu ermitteln. Bisher war das für den Freistaat eher vorteilhaft. Nun könnte sich das als Problem erweisen.

Einen stichhaltigen Nachweis für Ausnahmen nach § 34, Abs. 3 des Bundesnaturschutzgesetzes, nämlich zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, wie sie beispielsweise für die Genehmigung des Einschwimmens beansprucht wurden, ist der beklagte Freistaat bis heute schuldig geblieben. Und selbst wenn: Angeführte wirtschaftliche und soziale Gründe sind nach Absatz 4 nicht mehr ausreichend, wenn prioritäre Arten (d. h. Arten der FFH-RiLi, Anhang II) betroffen sind. Als zwingende Gründe gelten dann:

„[…] nur solche im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder […] maßgeblich günstigen Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt […].“

Sächsische Gerichte hatten einige Möglichkeiten eines Ausweges aus schwieriger Lage: Sie konnten die Einwendungen der Umweltverbände bei der Klärung von Rechtsfragen ausschließen (Präklusion), Beweisanträge ablehnen oder einfach den Argumenten der Beklagten folgen. Sie haben davon reichlich Gebrauch gemacht.

Den Job, eine artenschutzrechtliche Unbedenklichkeit für die Brücke auszustellen, hatten Sachverständige und Gutachter. Ihnen gelang, nicht selten unter Gefahr, eigene wissenschaftliche Reputation aufs Spiel zu setzen,  die fachlich angereicherten Begründungen zu liefern, mit denen sich die Umweltklagen irgendwie abweisen ließen.

Zu einem hohen Preis allerdings: Durch Verzicht auf Verträglichkeitsprüfung nach § 34 BNatSchG zugunsten einer oberflächlichen Vorprüfung wird der Freistaat zum Getriebenen. Seine Gutachter und Mitarbeiter hat er zu Komplizen gemacht – mit oder ohne Einverständnis. Sie mussten, wenn sie nicht gerade wie am Verwaltungsgericht kollektiv an Gedächtnisverlust litten, die unglaublichsten Wendungen vollziehen, um zu retten, was nicht zu retten ist.

Was an gutachterlicher Hemdsärmeligkeit in Sachsen gerade noch durchgehen mag, wie Dr. Mierwalds Selbstversuch, das Flugverhalten von Fledermäusen mit seiner Pudelmütze nachzuweisen oder eine Katze nächtens durchs Nistschutzgebiet des Wachtelkönigs zu verfolgen, dürfte im weiteren Verfahren nicht mal mehr für Heiterkeit sorgen.

Es ist doch kein Schaden eingetreten!

Wie groß der Spagat ist, den Sachverständige machen müssen zwischen wissenschaftlichem Anspruch an eigene Projekte und ihrer Pflichterfüllung vor Gericht dem Freistaat gegenüber, zeigte einmal mehr die Verhandlungsrunde im September 2011.

Bei der Klärung von Auswirkungen des Einschwimmvorgangs auf Wasservögel war auch er plötzlich wieder da: der gesunde Menschenverstand. Vorzugsweise singt er dann das Lied seines Brötchengebers. Fischfresser würden nicht beeinträchtigt, versicherte die Ornithologin Kareen Seiche, die hätten zum Ausweichen viel Platz auf der Elbe. Negative Auswirkungen der Seile auf Vögel beim Einschwimmen könnten gleichfalls ausgeschlossen werden. Zuvor hatte schon Dr. Mierwald die Eignung der Johannstädter Elbwiesen als Winterrastplatz eines Vogelschutzgebietes für Wasservögel heruntergespielt, indem er durch segmentierende Betrachtung andere als für die Ausweisung als IBA-Gebiet vorgesehene Kriterien einführte (A4, Bündelung von Wasser-, Meeres- oder Zugvögeln; hier: 20.000 Wasservögel).

Im Januar 2011 – nach dem Einschwimmen des Brückenmittelteils – zeigte die Vogelzählung keine sogenannten Vergrämungseffekte und normale Zahlen für Individuen und Arten. Statt darin einen Beweis für ein faktisches Vogelschutzgebiet zu erkennen, triumphierte die Biologin Seiche: „Was habt Ihr denn, es ist doch gar kein Schaden eingetreten!“

Natürlich weiß sie um kumulierende und verzögerte oder langfristige Wirkungen. Wer das scheinbare Ausbleiben eines unmittelbaren Schadens zur Methode macht, könnte künftig auf aufwendige und projektgefährdende Verträglichkeitsprüfungen ganz verzichten. Sollte der Schaden doch eintreten, ließe sich nachträglich Ersatz schaffen. Ein entsprechender Druck aus Politik und Wirtschaft zu Vereinfachung und Harmonisierung ist längst da3. Bis es soweit ist aber gilt: Selbst wenn Schadenswirkungen für den Vogelbestand nicht erkennbar eintreten, kann diese faktische Verträglichkeitsprüfung weder spätere Folgen ausschließen, noch rechtliche Vorgaben ersetzen. Auch die Verhinderung einer positiven Entwicklung ist unter Umständen verfehltes Schutzziel.

In seiner Replik auf Mierwald weist der Gutachter Matthias Schreiber sogar eine Verschlechterung der Bedingungen für Rastvögel nach. Im Gegensatz zu Kareen Seiche stützt er sich lieber auf die Auswertung vorliegender Daten:

Die Überlegungen von MIERWALD (2011) vermögen auch nichts an dem Umstand zu ändern, dass sich seit Beginn der Baumaßnahmen die Wertigkeit der Elbeniederung im Stadtgebiet von Dresden für Rastvögel deutlich verschlechtert hat, auch wenn die Bedeutung weiterhin überdurchschnittlich bleibt (siehe Ausarbeitung vom 14.10.2010, S. 13 f.). Der Versuch, diesen Sachverhalt durch Vergleiche besonders große bzw. besonders kleine Einzelwerte irgendwelcher Zeiträume, aber ohne gleichzeitige Berücksichtigung der insbesondere im Winterhalbjahr stark schwankenden äußeren Bedingungen und Verhältnisse in den anderen Abschnitten zu relativieren, ist nach dem von ihm selbst angelegten Maßstäben unstatthaft. So wenig es ausreicht, schon von der einmaligen Beobachtung einer großen Vogelansammlung automatisch auf ein wichtiges Rastgebiet zu schließen, so wenig sagen die isoliert herausgegriffenen Einzelwerte etwas aus.

Frau Seiche unterscheidet sich also mit ihrem Ausruf letztlich nicht von Lieschen Müller, für die es keine Klimaerwärmung geben kann, solange es im Winter vor ihrem Fenster schneit. Um sächsische Richter zu beeindrucken, mag das freilich reichen.

Wichtige Partner

Das grundsätzliche Problem, das hier anklingt, reicht weit über unser Verfahren hinaus. Interessenverflechtungen zwischen öffentlicher Hand als Vorhabenträger und Sachverständigen als mehr oder weniger freien Auftragnehmern öffentlich finanzierter Umweltprogramme stehen besonders dann in Gefahr, eine korruptive Gemeinschaft zu entwickeln, wenn Großprojekte notfalls gerichtlich durchgesetzt und Wissenschaftler als bisherige und möglichst auch künftige Auftragnehmer „Partei“ werden.

Nicht jeder Sachverständige, der in naturschutzrechtliche Planungen von Verkehrs- oder Bauvorhaben einbezogen wird, signalisiert so offen wie das Gutachterbüro Froelich & Sporbeck, was der Bauherr bei Natureingriffen an Unterstützung erwarten darf. Für Otto Sporbeck mag es ein normales Geschäft sein, entstehende artenschutzrechtliche Probleme  im Sinne des Projektes aus dem Weg zu räumen. Die Referenzliste seiner Kunden spräche jedenfalls für den Erfolg dieses Umweltverständnisses. Sporbecks Stellenbeschreibung zu entschlüsseln, dürfte auch für freistaatliche Brückenbauer nicht allzu schwer gewesen sein, im WSB-Verfahren greifen sie ausgiebig auf die langjährige Routine des rührigen Professors zurück:

Unsere Auftraggeber sind für uns wichtige Partner, mit denen uns das gemeinsame Ziel, der erfolgreiche Abschluss ihrer Vorhaben, Projekte und Planungen verbindet. Wir setzen alles daran, dieses Ziel auf fachlich höchstem Niveau, termingerecht, in besonderer Qualität und in einer positiven und sachlichen Arbeitsatmosphäre zu erreichen.

Aber nicht immer klappt das. Froelich & Sporbeck mögen alle naturrechtlichen Spielräume kennen; wenn es um Artenschutz geht, müssen sie nicht selten passen. Auch sonst rechnet das Büro wohl mit dem Kurzzeitgedächtnis überforderter Richter. Während sich Prof. Sporbeck zu den Auswirkungen von Baggerarbeiten im Uferbereich auf den Lebensraumtyp 3270 einmal dahingehend positionierte, dass sich entnommenes und wieder eingebrachtes Sohlesubstrat kurzfristig und ohne zusätzliche Maßnahmen natürlich regeneriert4, sprach er an anderer Stelle davon, nach der Bauphase sei durch neu angelegte, technische Ufer eine Regeneration des LRT 3270 „erst in großen Zeiträumen möglich“5.

Solche Wendungen sind kein Zeichen von Vergesslichkeit. Gutachter müssen flexibel bleiben, wollen sie auf entstehende Widersprüche reagieren. Wir erinnern uns, dass die Beeinträchtigung des Lebensraumtyps 3270 vom Verwaltungsgericht Dresden als einer der maßgeblichen Gründe dafür angeführt wurde, einen Volltunnel als Alternative zum Bau der Brücke abzulehnen. Einen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass die Abgrabung des Laichhabitats des geschützten Rapfens mit anschließender Wiedereinbringung des Bodens unschädlich ist, bleibt Sporbeck in seiner Stellungnahme passenderweise schuldig.

Dr. Sporbecks gesammelte Kenntnisse zum LRT 3270 reichten auch nicht, um Barrierewirkungen der Brücke fachlich überzeugend auszuschließen. Die von ihm noch 2011 (Anmerkungen) in Abrede gestellten Wirkungen durch Bauarbeiten im Brückenbereich und Brückenbauwerk weist Matthias Schreiber für Arten des Lebensraumtyps Säbeldornschrecke (Tetrix subulata) und Bernsteinschnecke (Oxyloma elegans) nach. Während die Säbeldornschrecke nach Schreiber ohne Vorkommensnachweis nicht nur als Indikator für eine zu untersuchende Zerschneidungswirkung ausscheidet, sondern eher als Indikator für eine bereits vorhandene Schädigung der Biodiversität des LRT 3270 gesehen werden muss, und die durch Schattenwirkung entstandene lebensfeindliche Umwelt unterhalb der Brücke bestenfalls vereinzelt überwinden könne, träfe diese Möglichkeit auf die Bernsteinschnecke in keinem Fall zu6.

Um die Barrierewirkung auf die Artenvielfalt des Lebensraumtyps zu bewerten, hätte als Indikator also die Bernsteinschnecke mit ihrem Ausbreitungspotential herangezogen werden müssen. Schreiber spricht deshalb von einer völligen Unverträglichkeit im Hinblick auf die Zerschneidungswirkung des Bauwerks.

Einen ähnlich unbefriedigenden Eindruck hinterließ das Büro Froelich & Sporbeck beim Konflikt um das geplante Steinkohlekraftwerk in Lubmin am Greifswalder Bodden. Dort hatten mehrere Bürgerinitiativen gegen die möglichen ökologischen Folgen des Großprojektes mobil gemacht. Erfolgreich. Der dänische Energiekonzern Dong war mit dem Wunsch nach einer schnellen Genehmigung gescheitert und hatte im Dezember 2009 entnervt aufgegeben. Ansonsten auch im Norden die übliche Vorgehensweise der Projektplaner. Während einer Anhörung notierte ein Kraftwerksgegner:

– Protokoll 05.11.08, Seite 66: „Außerdem will er von dem Büro Froelich & Sporbeck wissen, worauf das Aussterben des Störs zurückzuführen ist und wie die Wiederbesiedlung erfolge.“ Zu ergänzen ist: Mit dieser Frage war das [übrigens nach wie vor unlizenzierte] Büro Froelich & Sporbeck aufgefordert, sich endlich zur Stör-Problematik [prioritäre Art gem. FFH-RL] zu positionieren. In keinem der Gutachten von Antragstellerseite ist dieses u. U. entscheidende Thema nämlich berücksichtigt worden. Ferner ist die Textstelle dahingehend zu ergänzen, dass keiner aus dem Froelich/Sporbeck-Team auf diese meine Fragen antwortete.

Als Auftragnehmerin freistaatlicher Programme, wie der Monitoringprogramme für Fischotter und Kormoran oder öffentlich geförderter naturschutzfachlicher Handreichungen für Hersteller von Windanlagen überaus agil, ist auch die Biologin Kareen Seiche. Und doch darf ihr wohl eine verbreitete Form von Idealismus unterstellt werden, der glaubt, der guten Sache gerade dadurch wirksamer helfen zu können, dass er sich an anderer Stelle gelegentlich „die Hände schmutzig“ macht. Am Ergebnis ändert das freilich nichts.

Mit Kanonen auf Katzen

Berufsethische Fragen beantwortet auch der Chef des Kieler Institutes für Landschaftsökologie, Ulrich Mierwald, eher zwiespältig. Die irreführende Bezeichnung Institut mag den Eindruck einer Universitätsanbindung erwecken, tatsächlich ist Mierwalds Firma ein Einzelunternehmen, nicht anders, als bei vielen seiner Beraterkollegen. Und, obwohl er es, wie man sagt, geschafft hat, ist Dr. Mierwald also zuerst Dienstleister, für den am Monatsende die Beobachtung der Kontoauszüge ebenso wichtig sein dürfte, wie die der Artenvielfalt seines Versuchsgartens.

Auch er verwendet, wie Naturschutzexperte Sporbeck, jene Schlüsselwörter und Begrüßungsformeln, die vor allem Berührungsängste von Vorhabenträgern ausräumen sollen: Innovation, termingerecht, „zuverlässige Erledigung der uns aufgetragenen Arbeiten“ usw. Während Sporbeck mehr oder weniger Klartext redet, bleibt Dr. Mierwald aber lieber nach allen Seiten offen. Wozu Mierwald dennoch fähig ist, zeigt, dass er sein Prüfziel, Naturschutz an Unternehmungen von Anderen anzupassen (notfalls durch Vertreibung geschützter Vögel), mit guter Erreichbarkeit des Büros in Verbindung bringt:

Umweltverträglichkeit ist nicht nur ein Prüfziel für die Unternehmungen von Anderen. Auch unsere eigenen Tätigkeiten messen wir an diesem Anspruch. So wurde die Lage unseres Büros so gewählt, dass wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht erreichbar sind. Nach Möglichkeit nutzen wir Bus oder Bahn, um zu Ihnen zu kommen.

Die Gleichbehandlung aller Geschlechter und die Kompatibilität von Familien- und Arbeitsleben sind uns sehr wichtig.

Über so viel Umweltverträglichkeit dürften sich die meisten Geschlechter (und Geschlechterinnen) fraglos freuen. Mit Innovationen jedenfalls, wie beim Pudelmützenversuch, scheint es Ulrich Mierwald durchaus ernst zu sein, besonders, wenn es um geeignete Schutzmaßnahmen für Wachtelkönige geht. Die gängige Praxis, durch Katzen bedrohte Brutgebiete der Wiesenralle mit Wassergräben einzufassen, ist aufwendig und teuer. Die Gemeinde Neu Wulmstorf (zwischen Hamburg und Buxtehude) aber wollte beides: Einen neuen Wohnpark und preiswerten Artenschutz. Entsprechend groß war die Begeisterung der Gemeinderäte, als Dr. Mierwald Schallkanonen für Katzen empfahl, die sich bei britischen Kleingartenbesitzern großer Beliebtheit erfreuen. Die Richtung ist klar: Experimenteller Artenschutz aus dem Baumarkt zum Schnäppchenpreis.

Dr. Mierwalds besonderes Verhältnis zu Wachtelkönig und Katzen hat, das werden nicht einmal die Anwälte des Freistaates bestreiten wollen, erhebliche Auswirkungen auf das Verfahren zur Waldschlösschenbrücke. Seine Aufgabe war und ist es (neben der innovativen Erforschung des Flugverhaltens von Fledermäusen), die Eignung der Elbwiesen in Höhe Johannstadt und Waldschlösschen als Lebensraum und Brutgebiet für Wachtelkönige auszuschließen und auf das Ostragehege zu beschränken. Dafür – und das muss man leider wörtlich nehmen – ist dem Ornithologen fast jedes Mittel recht.

Die Gutachter Mierwald, Sporbeck und Seeche haben neben den Getreuen in WSA und Straßen- und Tiefbauamt zweifellos die seltsamsten Urteilsbegründungen sächsischer Gerichte ermöglicht: Sein eigentliches Prüfziel aber, die Zähmung des widerspenstigen Wachtelkönigs, hat Vogelkundler Mierwald, über die Jahre gesehen, deutlich verfehlt. Im Grunde verschlechtert sich, aus seiner Sicht, die Naturschutzsituation kontinuierlich umgekehrt proportional zur Erholung des Vogels: 2011 wurden 7 Rufer des Wachtelkönigs in den Johannstädter Elbwiesen nachgewiesen. Die Konsequenz, die geschützte Vogelart aus Johannstadt fernzuhalten oder notfalls zu vertreiben, war vom Freistaat allerdings bereits durch die Ausgliederung der Vorkommensgebiete aus dem SPA-Gebiet angelegt worden.

Dem Langzeitversuch des Kieler Institutschefs, Wachtelkönig-Habitate örtlich (auf das Ostragehege) zu begrenzen, gaben Jan Schimkat und Till Töpfer vom NSI Dresden interessanterweise bereits 2003 keine Chance. Eine Gefährdung durch das geplante Brückenbauwerk schlossen sie schon damals nicht aus. Wie die meisten anderen Einwendungen verhallten aber auch die Warnungen dieser Dresdner Gutachter ungehört:

Einblick über mögliche Umsiedlungen (Dismigration) des Wachtelkönigs gibt ein am 12. Juli 1930 in Kondoros/ Komitat Békés in Ungarn beringter Jungvogel, der ein Jahr darauf (am 25. Juni) bei Kampen/Niederlande nachgewiesen wurde (TEN KATE in: GLUTZ VON BLOTZHEIM 1973) und dort sicherlich brüten wollte. Ein am 12. Juni 1972 bei Sliedrecht markierter Vogel war am 22. Juni und 22. Juli bereits 52 km vom Beringungsort entfernt (VAN DEN BERG in: GLUTZ VON BLOTZHEIM 1973). […] Solche Daten zeigen die beim Wachtelkönig ausgeprägte Fähigkeit, sich sowohl weit vom Geburtsort anzusiedeln als auch während der Brutzeit weit umher zu ziehen. Für die Aspekte des Artenschutzes wichtig dabei sind gute Verbindungswege zwischen den Lebensräumen (z. B. ungestörte Zugstraßen) und geeignete Trittsteinbiotope (Biotopverbund).

[…]

Andererseits gibt es für den Wachtelkönig viele Beispiele von ausgeprägter individueller Brutortstreue. So wurden in den Niederlanden mindestens 7 im Juni/ Juli beringte Altvögel im nächsten Jahr nur 0–14 (im Mittel 4,1) km vom Beringungsort entfernt kontrolliert. Ein Vogel konnte sogar in 3 aufeinanderfolgenden Jahren im selben Brutgebiet nachgewiesen werden (GLUTZ VON BLOTZHEIM 1973). Ein- bis zweimalige mahdbedingte Revierverlagerung um 100 bis 300 m konnte SCHMIDT (Mitt. IG Avifauna DDR 4, 1971) nachweisen. Auch zeigen die langjährigen Beringungen von SADLICK im Oderbruch bei Schwedt ausgeprägte Beispiele für Brutortstreue (aktuelle Beringungsdaten der Beringungszentrale Hiddensee).

Beim Wachtelkönig wurde somit durch die Markierung von Individuen bisher sowohl Brutortstreue als auch ein relativ nomadisches, unstetes Brutzeitverhalten nachgewiesen. Wichtig für den Artenschutz ist stets das ausreichende Vorhandensein geeigneter Lebensräume, die für den großen Raumbedarf des Wachtelkönigs zur Verfügung stehen.

[…]

Die relativ schlecht fliegenden, keine hohen Flughöhen erreichenden und immer nachts ziehenden Rallenvögel werden generell leicht Opfer von Kollisionen mit technischen Bauwerken. Insofern ist auch zu erwarten, dass Wachtelkönige (und viele andere Wiesen- , Wat- und Wasservögel) Opfer von Kollisionen an Brücken werden. Berichte vom Vogeltod an Brücken gibt es einige (s. z.B. Gutachten zur geplanten Elbbrücke Niederwartha oder LÜDCKE: in Zeitschrift Der Falke 3/1995), wobei sich die Nachweise aufgrund der Seltenheitdieses Vogels nicht auf den Wachtelkönig beziehen, sondern die häufig als Opfer entdeckten Schwäne, Enten und Drosseln betreffen.

In der ökologischen Falle

All das lag vor Erteilung der ersten Baugenehmigung auf dem Tisch. Was an fachlicher Information in den Wind geschlagen wurde, ist in der Summe erstaunlich. Dass die Elbwiesen bei Johannstadt aus sachfremden Gründen aus einem faktischen Vogelschutzgebiet ausgegliedert wurden, hängt den stolzen Bauherren nun wie ein Mühlstein um den Hals. In Bautzen holte sie Tillichs eigenwillige Flächenfestlegung erneut ein. Mit der Gebietsausgliederung aber hatte Sachsens Umweltminister in gewisser Weise im größeren Rahmen wiederholt, was er schon früher getan hatte: In seiner Zeit als treuer DDR-Staatsdiener wirkte Tillich an mindestens einer Enteignung mit – nach DDR-Baulandgesetz eine Maßnahme, die „der sozialistischen Entwicklung von Städtebau und Architektur in den Städten und Gemeinden“ dienen sollte7. Die Heimatpartei wusste, dass auf Stanislaw Tillich Verlass sein würde. Nur hatten sich bekanntlich die betroffen Kranichvögel nicht an die Gebietsabgrenzung gehalten.

In der Bautzener Verhandlung gab es in der Ausgliederungsfrage denn auch das gewohnte Ritual. Als der Sachverständige der Kläger, Matthias Schreiber, an Hand zweier Karten das Material zeigte, dass der Vogelschutzwarte für die Gebietsabgrenzung des Vogelschutzgebietes zur Verfügung stand und wo, für jeden gut erkennbar, fünf blaue Punkte im ausgesparten Bereich Nachweise des Wachtelkönigs markierten und demnach damals die höchste Konzentration an Wachtelkönigen im später ausgesparten Gebiet festgestellt wurde, als auch auf Nachfrage Professor Sporbecks Dr. Schreiber, bestätigte, die im ausgesparten Bereich des Vogelschutzgebietes eingezeichneten blauen Punkte seien exakt jene Daten, die auf Anfrage des Senats vom Landesamt (LfULG) übermittelt wurden, war es erneut Dr. Mierwald, der diesen relativ klaren Befund destruieren musste.

Dr. Mierwald fand, offenbar frei von genauer Ortskenntnis, immer neue Erklärungen für das regelwidrige Rastverhalten des Wachtelkönigs: Die Rufer würden in Gruppen Klangteppiche bilden, in denen schwer zu unterscheiden sei, ob es sich um mehre oder nur einen Rufer handelt. Die Männchen würden mit ca. 90 dB(A) rufen, um in großer Höhe getrennt von den Männchen fliegende Weibchen anzulocken. Sie wären nicht brutreviertreu. Natürlich reichte das noch nicht. Auch als letztes Mittel subtil an der Zuverlässigkeit der Zählungen zu zweifeln, konnte sich der Gutachter nicht verkneifen: Er gab sich erstaunt, dass in Johannstadt so viele Wachtelkönige gehört worden seien – schließlich seien es im vom NSI betreuten Ostragehege immer höchstens 4 Brutpaare gewesen.

Gutachter Wolfgang Hahn entgegnete seinerseits, dass es auf Grund der Geländestrukturen durchaus möglich sei, einzelne Rufer festzustellen. Es wechselten lockere und dichte Grasbestände und es gäbe Vertiefungen. Während der Mauser seien die Tiere flugunfähig und müssten sich wie auch die noch nicht flüggen Jungen über Tag in dichten Bewuchs zurückziehen.

Wie auch immer: Den Vorkommensnachweis sprachlich so zu gestalten, dass sich später noch das genaue Gegenteil herauslesen lässt, ist Sache des Protokolls. Dort wurde sinngemäß notiert: Man müsse den Lebenszyklus des Wachtelkönigs betrachten und dabei die Eignung des Gebietes als Gesamtlebensraum hinsichtlich der Habitatsstrukturen. Passend dazu gab das Gericht eine Stellungnahme des Regierungspräsidiums für die Gebietsausgliederung bekannt, nach der genügend Ausweichgebiete für den Wachtelkönig existierten und Kohärenz (Ausgleich) gewährleistet sei.

Auf dieser Linie blieb während der ganzen Verhandlung logischerweise auch Dr. Mierwald. Er wiederholte gebetsmühlenartig die üblichen Hindernisse, die Johannstädter Elbwiesen ungeeignet für den Wachtelkönig machen würden: Siedlungsnähe, Gefahr für Jungvögel durch freilaufende Hunde und – jagende Katzen.

Seit Jahren immer wieder und vor allem: Katzen. Selbst satte Katzen seien eine Gefahr. Was spielt es da für eine Rolle, dass auch das Ostragehege Siedlungsgebiet ist, dass es da eine Hundeschule gibt und Hundebetreuer, die Hunde frei herumlaufen lassen, Störungen durch Großveranstaltungen, dass das Landesamt andererseits das strittige ausgegliederte Gebiet zu den Top 5 des gesamten Vogelschutzgebietes zählt und Herr Wolf von der unteren Naturschutzbehörde der Landeshauptstadt alle drei Dresdner Wachtelkönigsgebiete für geeignete Habitate hält.

Es half alles nichts: Dr. Mierwald hatte einen Narren an den Johannstädter Katzen gefressen. Hier suchte der Ornithologe die Entscheidung. Im Zentrum stand ein Gutachten, dass die Grüne Liga in Auftrag gegeben hatte, um Mierwalds Obsession mit greifbaren Fakten an der Wirklichkeit zu messen. Untersucht wurde im Sommer 2011 Ostragehege, Johannstädter Elbwiesen und die Elbwiesen bei Tolkewitz,

„welche jeweils als Biotop und somit grundsätzlich als Fortpflanzungs-, Rast- und Mausergebiet für den Wachtelkönig geeignet sind […]  auf folgende, mögliche Störfaktoren für vorkommende, adulte und juvenile Wachtelkönige […]:

* Hauskatzen, welche Jungtiere erbeuten und damit auch brütende, fütternde, rastende, ruhende und mausernde, adulte Tiere stören und vertreiben können.
* Hunde, welche v.a. freilaufend durch Streunen und Stöbern adulte und juvenile Tiere erheblich beunruhigen, vertreiben, verletzen und töten können.
* Personen, welche durch verschiedene Freizeitaktivitäten oder durch einfache Präsenz in sensiblen Bruträumen zu Stress, Fluchtverhalten und nachhaltiger Vergrämung führen können.

Ergänzend wurde der Zustand der Elbwiesen hinsichtlich der Grasmahd untersucht, dessen Zeitpunkte für eine erfolgreiche Rast, Brut und Mauser der Art ganz wichtig sind.

Dr. Mierwalds Sorge um Wachtelkönige durch Johannstädter Katzen stellte sich letztlich als unbegründet heraus:

Die Johannstädter Elbwiesen zeigen im Vergleich insgesamt die größten Flächenanteile gering gestörter Bereiche und erweisen sich unter Beachtung der zumindest im Mai und Juni beobachtbaren Wachtelkönigreviere als unbedingt zu berücksichtigendes Habitat in bezug auf den öffentlichen Schutz, die Pflege und Entwicklung.

[…]

Abschließend ist festzustellen, dass eine bedeutende Rolle der Hauskatze für das Vorkommen des Wachtelkönigs für alle drei Gebiete auf Basis der durchgeführten, intensiven Beobachtungen nicht abzuleiten ist. Ein unregelmäßiges Auftreten von Hauskatzen von den randlichen Wohnbebauungen (Johannstadt, Blasewitz und Tolkewitz) und Kleingärten (Ostragehege) aus ist grundsätzlich nicht auszuschließen; jedoch ist […] vielmehr eine Jagd auf frisch gemähten oder vergleichsweise niedrig bewachsenen Wiesen zu erwarten (Jagd auf Mäuse). […]

Auch diese Untersuchung kann Mierwald freilich nicht akzeptieren. Denn er hat, und das war, wenn die Frage des faktischen Vogelschutzgebietes abschließend beantwortet sein wird, zweifellos einer der Höhepunkte des jahrelangen quälenden Ringens, seine eigene Untersuchung durchgeführt.

Hahns methodischer Ansatz ist für Mierwald erwartungsgemäß zunächst einmal falsch. Die Begehungen seien noch vor dem Sonnenuntergang abgebrochen worden, erst bei späteren Begehungen seien sie kurz nach Sonnenuntergang beendet worden. Mierwald sieht außerdem ein Problem darin, dass die Begehungen regelmäßig montags stattgefunden hätten, an diesem Tag seien die geringsten Störungen zu erwarten, geringer als am Wochenende. Es sei festzustellen, dass nach absoluten Zahlen die meisten Hunde in den Johannstädter Elbwiesen waren.

Offenbar hatten unsere Brückenbauer Wind von den Untersuchungen an den Elbwiesen bekommen: Am 12. Juli 2011 machte sich also Dr. Mierwald auf, um zwischen 22.00 und 1.00 Uhr nachts den Verkehr auf dem Käthe-Kollwitz-Ufer zu zählen. In der ersten Stunde seien es noch 540 Kfz gewesen, mit der Zeit weniger. Damit ist für Mierwald eine Barrierewirkung des Käthe-Kollwitz-Ufers nicht mehr gegeben. Nach Mitternacht wäre der Verkehr dann von 150Kfz/h  auf 120 Kfz/h zurückgegangen. Durch Ausleuchten habe er um etwa 0.24 Uhr eine Katze beobachtet, die sich streunend in Richtung Wachtelkönighabitat bewegte. Er habe an ihrem Blinzeln erkannt, dass es sich um eine Katze gehandelt haben müsse. Selbst eine einzelne Katze könne den gesamten Vogelbestand vernichten.

Was, wie man hinzufügen muss, freilich dann auch für andere Habitate gelten würde. Dass unter artenschutzrechtlicher Betrachtung die Handlampenausleuchtung des Herrn Mierwald bedenklich sei, wie Hahn erklärte, mag da kaum ins Gewicht fallen. Bedenklicher wäre, worauf einiges hindeutet, wenn Mierwald bei seiner Katzenjagd selbst Nistschutzgebiet betreten und brütende Vögel gefährdet hätte. Methodisch richtiger wäre es nach Hahns Auffassung jedenfalls gewesen, den Bereich während der Nachtzeit auszuleuchten. Dr. Schreibers einfache Frage, wie viele Katzen Dr. Mierwald bei gleicher Methode in Tolkewitz und im Ostragehege festgestellt, blieb unbeantwortet. Das Hauptproblem sei nach wie vor ein Mähen der Wiesen zur Unzeit. Nährstoffeinträge infolge Hochwassers gäbe es auch in Tolkewitz und im Ostragehege.

Im Grunde, und das ist das eigentlich Erschreckende, haben fast acht Jahre keine neuen Erkenntnisse in der Katzenfrage gebracht. Dr. Schimkat (NSI) hatte 2004 in einer weiteren Stellungnahme geschrieben:

Das Vorkommen von Bodenfeinden ist kein Argument dafür, dass die Elbwiesen nicht im Sinne des Wachtelkönigs und anderer Zielarten des Naturschutzes zu erhalten und zu entwickeln sind. Selbstverständlich sollten die Elbwiesen so gepflegt und entwickelt werden, dass der Einfluss solcher Bodenfeinde auf die Population möglichst gering sind. Dies beinhaltet vor allem die Schaffung von genügend Versteck- und Unterschlupfmöglichkeiten für diese Vogelart (z. B. hochgrasige und vernässte Wiesenbereiche, dichte Sträucher, Hecken und Säume sowie hohe Feuchtbrachen).

[…]

Auf die weiteren von SCHIMKAT & TÖPFER (2003) aufgeführten Argumente zu einer eventuellen Gefährdung des Wachtelkönigs, wie durch Lärm- und Lichtemissionen etc. geht die Stellungnahme von MIERWALD (2003) nicht ein, so dass diese Aussagen aus dem ersten Gutachten des NSI so stehen bleiben.

Obwohl sich Wachtelkönige bisher also partout nicht auf die vom Freistaat ausgewiesenen SPA-Gebiete beschränken wollen, ja ihre Nachweise sogar im WSB-Bereich noch zugenommen haben, suchte Dr. Maiwald unverdrossen weiter nach Möglichkeiten, die lästigen Rallenvögel durch ein verändertes Mahdregime zu vertreiben.

Dr. Schimkat hatte diese Versuche bereits vor reichlich sieben Jahren (2004) mit deutlichster Bloßstellung zurückgewiesen, die für Wissenschaftler unterhalb des Übergehens durch Schweigen noch möglich ist:

Es hieße nun, den Ornithologen sowie den Naturschutz- und Fachbehörden des Freistaates jede Kompetenz abzusprechen, wenn man behauptet, den Schutz des Wachtelkönigs diene es, die Elbwiesen möglichst „wachtelkönigfeindlich“ zu pflegen, damit er nicht in eine von streunenden Katzen und stöbernden Hunden gestellte ökologische Falle tappe (MIERWALD 2003).

Ausgerechnet bei den Johannstädter Elbwiesen versagt Dr. Mierwald letztlich der gesunde Menschenverstand. Der wüsste nämlich längst eine bessere Lösung: Stellt einfach ein paar Vogelscheuchen auf!

Eine Art Identität

Die Tricksereien des Freistaates sind auch für weitere streng geschützte Arten, wie Grüne Keiljungfer, Eremiten oder Wiesenknopf-Ameisenbläuling, gut dokumentiert. Zu jeder Art gibt es unglaubliche Berichte über Versäumnisse, Interesselosigkeit und Ignoranz des Vorhabenträgers. Vieles davon konnte in Bautzen benannt werden. Dass die gefällten Eichen auf der Neustädter Seite absprachewidrig abtransportiert wurden, bevor sie auf Besiedlungsspuren des Eremiten (Osmoderma eremita) untersucht werden konnten, ist nur eine unter vielen Pannen, den gesamten Tunnelkomplex einmal außen vor gelassen.

Experten aber sind es, die mit umstrittenen naturschutzfachlichen Aussagen auch diesmal zum Urteil beigetragen haben, die Einwendungen der Kläger griffen nicht durch. Wenn sich die Umweltverbände entschließen, Naturschutzfragen von einem nichtsächsischen Gericht klären zu lassen, haben sie also alle Unterstützung verdient. Dass es Grund zur Hoffnung gibt, zeigt die Freiberger Umgehung. Mögen Politiker des Freistaates weiter darüber lächeln: In der schweren Beschädigung der Elbwiesen manifestiert sich auf besondere Weise der quälende, tief sitzende Konflikt in Dresden und Sachsen. Eine Heilung dieser Landschaft als Naturerbe bleibt unverzichtbare Forderung.

Als Kurt Biedenkopf kürzlich aus Sachsen fortzog, schwärmte ein Dresdner Journalist pflichtschuldigst von den Verdiensten des Landesvaters. Er habe „den Sachsen eine Art Identität“8 wiedergegeben. Diese Identität hat uns in die inzwischen sprichwörtlich gewordene Sächsische Demokratie geführt.

Das Bedürfnis von Untertanen, ihren Herrschern in allen Dingen nachzueifern, ist gut untersucht9. Es ist höchste Zeit, sich von der Großmannssucht eines kleinen Königs zu befreien. Das gilt auch für den Umgang mit der Natur. Eine Bedeutung des Begriffes Identität meint Einzigartigkeit. Die aber kann nur zurückerrungen werden, auch für das Dresdner Elbtal. An der Lösung des Elbwiesenkonfliktes wird sich zeigen, wie ernsthaft ein Wandel ist – wenn er denn kommt.

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Danksagung: Herzlich bedanken möchte ich mich bei Silvia Friedrich für die umfangreichen Verhandlungsprotokolle, die sie teils in handschriftlicher Form, teils als Textdaten zur Verfügung gestellt hat sowie das Foto (August 2011) vom blühenden Wiesenknopf (Sanguisorba officinalis) an der Baustelle Waldschlösschenbrücke.

1 Ufer, Peter: Magirius: Dresden versinkt in Mittelmäßigkeit, Sächsische Zeitung, 16. 03.2009
2 Lambrecht, Trautner et. al., Fachinformationssystem und Fachkonvention zur Bestimmung der Erheblichkeit im Rahmen der FFH-VP, 2007, S. 45
3 Lambrecht, H., Peters, W. Köppel, J., Beckmann, M., Weingarten, E., Wende W.  (Bearb.): Bestimmung des Verhältnisses von Eingriffsregelung, FFH-VP, UVP und SUP im Vorhabensbereich, 2007, S. 3
4 Erwiderung, Anlage B 40, S. 2; Siehe auch: Antrag Planungsergänzung der LHDD, 2010, S.7, mit Bezug auf Froelich & Sporbeck: „zeitnahe Wiederherstellung der relativ kleinflächig beanspruchten LRT-Fläche innerhalb einer Vegetationsperiode“
5 Froelich & Sporbeck, Auswirkungen des Verkehrsvorhabens Waldschlösschenbrücke auf ausgewählte Lebensraumtypen und Arten des SCI „Elbtal zwischen Schöna und Mühlberg, Stand: 03.09.2008, S. 20
6 Schreiber, Matthias: Ergänzende naturschutzfachliche Anmerkungen zu ausgewählten Auswirkungen der Waldschlösschenbrücke auf Arten und Habitate des FFH- und Vogelschutzgebietes, 2011, S. 7
7 Nolle, Karl: Sonate für Blockflöten und Schalmeien, Dresden 2009, S. 112
8 Friedlaender, Ludwig: Sittengeschichte Roms, Wien 1934, S. 33 ff
9 Alexe, Thilo: Zwischen Laptop und Lederhose, Sächsische Zeitung, 04. 02.2012, S. 8

Samstag, 18. Februar 2012